Christian Morgenstern 1871-1914
Laßt die Moleküle rasen,
was sie auch zusammenknobeln!
Laß das Tüfteln, laß das Hobeln,
heilig halte die Ekstasen!
Galgenberg |
---|
Blödem Volke unverständlich
treiben wir des Lebens Spiel.
Gerade das, was unabwendlich,
fruchtet unserm Spott als Ziel.
Magst es Kinder-Rache nennen
an des Daseins tiefem Ernst;
wirst das Leben besser kennen,
wenn du uns verstehen lernst.
Bundeslied der Galgenbrüder |
---|
O schauerliche Lebenswirrn,
wir hängen hier am roten Zwirn!
Die Unke unkt, die Spinne spinnt,
und schiefe Scheitel kämmt der Wind.
O Greule, Greule,wüste Greule!
"Du bist verflucht!" so sagt die Eule.
Der Sterne Licht am Mond zerbricht.
Doch dich zerbrachs noch immer nicht.
O Greule, Greule, wüste Greule!
Hört ihr den Huf der Silbergäule?
Es schreit der Kauz: pardauz! pardauz!
da tauts, da grauts, da brauts, da blauts!
Galgenbruders Lied an Sophie, die Henkersmaid |
---|
Sophie, mein Henkersmädel,
komm, küsse mir den Schädel!
Zwar ist mein Mund
ein schwarzer Schlund -
doch du bist gut und edel!
Sophie, mein Henkersmädel,
komm, streichle mir den Schädel!
Zwar ist mein Haupt
des Haars beraubt -
doch du bist gut und edel!
Sophie, mein Henkersmädel,
komm, schau mir in den Schädel!
Die Augen zwar,
sie fraß der Aar -
doch du bist gut und edel!
Der Zwölf-Elf |
---|
Der Zwölf-Elf hebt die linke Hand:
Da schlägt es Mitternacht im Land.
Es lauscht der Teich mit offnem Mund.
Ganz leise heult der Schluchtenhund.
Die Dommel recht sich auf im Rohr.
Der Moosfrosch lugt aus seinem Moor.
Der Schneck horcht auf in seinem Haus;
desgleiche die Kartoffelmaus.
Das Irrlicht selbst macht Halt und Rast
auf einem windgebrochnen Ast.
Sophie, die Maid, hat ein Gesicht:
Das Mondschaf geht zum Hochgericht.
Die Galgenbrüder wehn im Wind.
Im fernen Dorfe schreit ein Kind.
Zwei Maulwürf küssen sich zur Stund
als Neuvermählte auf den Mund.
Hingegen tief im finstren Wald
ein Nachtmahr seine Fäuste ballt:
Dieweil ein später Wanderstrumpf
sich nicht verlief in Teich und Sumpf.
Der Rabe Ralf ruft schaurig: "Kra!
Das End ist da ! Das End ist da !"
Der Zwölf-Elf senkt die linke Hand:
Und wieder schläft das ganze Land.
Die Trichter |
---|
Zwei Trichter wandeln durch die Nacht,
Durch ihres Rumpfs verengten Schacht
fliesst weißes Mondlicht
still und heiter
auf ihrem
Waldweg
u.s.
w.
Galgenbruders Frühlingslied |
---|
Es lenzet auch auf unserm Spahn,
o selige Epoche!
Ein Hälmlein will zum Lichte nahn
aus einem Astwurmloche.
Es schaukelt bald im Winde hin
und schaukelt bald drin her.
Mir ist beinah,ich wäre wer,
der ich doch nicht mehr bin...
Das Problem |
---|
Der Zwölf-Elf kam auf sein Problem
und sprach: "Ich heiße unbequem.
als hieß ich etwa Drei-Vier
statt Sieben - Gott verzeih mir!"
Und siehe da, der Zwölf-Elf nannt sich
von jenem Tag ab Dreiundzwanzig.
Der Tanz |
---|
Ein Vierviertelschwein und eine Auftakteule
trafen sich im Schatten einer Säule,
die im Geiste ihres Schöpfers stand.
Und zum Spiel der Fiedelbogenpflanze
reichten sich die zwei zum Tanze
Fuß und Hand.
Und auf seinen dreien rosa Beinen
hüpfte das Vierviertelschwein graziös,
und die Auftakteul auf ihrem einen
wiegte rhythmisch ihr Gekrös.
Und der Schatten fiel,
und der Pflanze Spiel
klang verwirrend melodiös.
Doch des Schöpfers Hirn war nicht von Eisen,
und die Säule schwand, wie sie gekommen war,
und so mußte denn auch unser Paar
wieder in sein Nichts zurücke reisen.
Einen letzten Strich
tat der Geigerich -
und dann war nichts weiter zu beweisen.
Der Mond |
---|
Als Gott den lieben Mond erschuf,
gab er ihm folgenden Beruf:
Beim Zu- sowohl wie beim Abnehmen
sich deutschen Lesern zu bequemen,
ein a formierend und ein z -
daß keiner groß zu denken hätt.
Befolgend dies, ward der Trabant
ein völlig deutscher Gegenstand.
Mondendinge |
---|
Dinge gehen vor im Mond,
die das Kalb selbst nicht gewohnt.
Tulemond und Mondamin
liegen heulend auf den Knien.
Heulend fletschen sie die Zähne
auf der schwefligen Hyäne.
Aus den Kratern aber steigt
Schweigen, das sie überschweigt.
Dinge gehen vor im Mond,
die das Kalb selbst nicht gewohnt.
Tulemond und Mondamin
liegen heulend auf den Knien ...
Die beiden Esel |
---|
Ein finstrer Esel sprach einmal
zu seinem ehlichen Gemahl:
"Ich bin so dumm, du bist so dumm,
wir wollen sterben gehen, kumm!"
Doch wie es kommt so öfter eben:
Die beiden blieben fröhlich leben.
Anto-Logie |
---|
Im Anfang lebte, wie bekannt,
als größter Säuger der Gig-ant.
Wobei gig eine Zahl ist, die
es nicht mehr gibt, - so groß war sie !
Doch jene Größe schwand wie Rauch.
Zeit gabs genug - und Zahlen auch.
Bis eines Tags, ein winzig Ding,
der Zwölef-ant das Reich empfing.
Wo blieb sein Reich? Wo blieb er selb? -
Sein Bein wird im Museum gelb.
Zwar gab die gütige Natur
den Elef-anten uns dafur.
Doch ach, der Pulverpavian,
der Mensch, voll Gier nach seinem Zahn,
erschießt ihn, statt ihm Zeit zu lassen,
zum Zehen-anten zu verblassen.
O "Klub zum Schutz der wilden Tiere",
hilf, daß der Mensch nicht ruiniere
die Sprossen dieser Riesenleiter,
die stets noch weiter führt und weiter!
Wie dankbar wird der Ant dir sein,
läßt du ihn wachsen und gedeihn, -
bis er dereinst im Nebel hinten
als Nulel-ant wird stumm verschwinden.
Das Nasobem |
---|
Auf seinen Nasen schreitet
einher das Nasobem.
Von seinem Kind begleitet.
Es steht noch nicht im Brehm.
Es steht noch nicht im Meyer.
Und auch im Brockhaus nicht.
Es trat aus meiner Leyer
zum ersten Mal ans Licht.
Auf seinen Nasen schreitet
(wie schon gesagt) seitdem,
von seinem Kind begleitet,
einher das Nasobem.
Die zwei Wurzeln |
---|
Zwei Tannenwurzeln groß und alt
unterhalten sich im Wald.
Was droben in den Wipfeln rauscht,
das wird hier unten ausgetauscht.
Ein altes Eichhorn sitzt dabei
und strickt wohl Strümpfe für die zwei.
Die eine sagt: knig.Die andre sagt: knag.
Das ist genug für einen Tag.
Wie sich das Galgenkind die Monatsnamen merkt |
---|
Jaguar
Zebra
Nerz
Mandrill
Maikäfer
Ponny
Muli
Auerochs
Wespenbär
Locktauber
Robbenbär
Zehenbär
Palmström |
---|
Palmström steht an einem Teiche
und entfaltet groß ein rotes Taschentuch;
Auf dem Tuch ist eine Eiche
dargestellt sowie ein Mensch mit einem Buch.
Palmström wagt nicht,sich hineinzuschnäuzen.
Er gehört zu jenen Käuzen,
die oft unvermittelt-nackt
Ehrfurcht vor dem Schönen packt.
Zärtlich faltet er zusammen,
was er ebend erst entbreitet.
Und kein Fühlender wird ihn verdammen,
wenn er ungeschneuzt entschreitet.
Das böhmische Dorf |
---|
Palmström reist,mit einem Herrn v.Korf,
in ein sogenanntes böhmisches Dorf.
Unverständlich bleibt ihm alles dort,
von dem ersten bis zum letzten Wort.
Auch v.Korf(der nur des Reimes wegen
ihn begleitet) ist um Rat verlegen.
Doch just dieses macht ihn blaß vor Glück.
Tief entzückt kehrt unser Freund zurück.
Und er schreibt in seine Wochenchronik:
Wieder ein Erlebnis,voll von Honig !
Der Rock |
---|
Der Rock, am Tage angehabt,
er ruht zur Nacht sich schweigend aus;
durch seine hohlen Ärmel trabt
die Maus.
Durch seine hohlen Ärmel trabt
gespenstisch auf und ab die Maus ...
Der Rock, am Tage angehabt,
er ruht zur Nacht sich aus.
Er ruht, am Tage angehabt,
im Schoß der Nacht sich schweigend aus,
er ruht, von seiner Maus durchtrabt,
sich aus.
Das Geierlamm |
---|
Der Lämmergeier ist bekannt,
das Geierlamm erst hier genannt.
DerGeier, der ist offenkundig,
das Lamm hingegen untergrundig.
Es sagt nicht hu, es sagt nicht mäh
und frißt dich auf aus nächster Näh.
Und dreht das Auge dann zum Herrn.
Und alle habens herzlich gern.
Der Schnupfen |
---|
Ein Schnupfen hockt auf der Terrasse,
auf daß er sich ein Opfer fasse
- und stürzt alsbald mit großem Grimm
auf einen Menschen namens Schrimm.
Paul Schrimm erwidert prompt: "Pitschü!"
und hat ihn drauf bis Montag früh.
Ukas |
---|
Durch Anschlag mach ich euch bekannt:
Heut ist kein Fest im deutschen Land.
Drum sei der Tag für alle Zeit
zum Nichtfest-Feiertag geweiht.
Gruselett |
---|
Der Flügelflagel gaustert
durchs Wiruwaruwolz;
die rote Fingur plaustert,
und grausig gutzt der Golz.